Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz für Webseiten und Apps
Das BFSG kann große Auswirkungen auf Anbieter digitaler Dienstleistungen haben. Wir schauen uns an, wer betroffen ist und was zu tun ist.
Im letzten Artikel haben wir uns damit befasst, dass viele Firmen noch nicht ausreichend vorbereitet auf das Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes im nächsten Jahr sind. Daher werfen wir heute einen genaueren Blick auf das Gesetz und seine Auswirkungen, damit Sie einschätzen können, ob Sie betroffen sind und welche Maßnahmen Sie ergreifen müssen.
Disclaimer: Dieser Artikel ist rein informationeller Natur und stellt keine Rechtsberatung dar.
Ein kurze Historie
Barrierefreiheit in digitalen Angeboten wird mit dem BFSG nicht zum ersten Mal geregelt, sondern es folgt auf eine Reihe bestehender Gesetze und Verordnungen:
- Mai 2002: Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichtet öffentliche Stellen des Bundes, z.B. Ministerien und Behörden, zur Barrierefreiheit
- September 2011: Die Verordnung BITV 2.0 regelt die die Umsetzung barrierefreier Informationstechnik gemäß BGG
- Februar 2014: Die Europäische Norm für Digitale Barrierefreiheit (EN) 301 549 wird erstmals veröffentlicht (aktuell ist die Version 3.2.1 von 2021). Die aktuelle Version der BITV 2.0 verweist auf diese Norm.
- April 2019: Der European Accessibility Act (EAA) bzw. EU-Richtlinie 2019/882 definiert Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen im europäischen Raum
- Juli 2021: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), setzt die EU-Richtlinie 2019/882 in deutsches Recht um
- Juni 2022: Die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) definiert Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem BFSG
- 28. Juni 2025: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tritt in Kraft
Für wen gilt das BFSG?
Das BFSG listet verschiedene Arten von Produkten und Dienstleistungen auf, die barrierefrei nutzbar sein müssen. Darunter fallen unter anderem physische Produkte wie Smartphones, Geldautomaten, Zahlungsterminals oder Fahrausweisautomaten. Dienstleistungen umfassen z.B. Banking sowie Auskünfte und Ticketing bei Personenbeförderungsdiensten. Für uns interessant ist aber vor allem die Kategorie „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“.
Diese sind definiert als „Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und über Anwendungen auf Mobilgeräten angeboten werden und elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden“.
Konkrete Beispiele für diese doch recht interpretierbare Definition werden im Gesetz nicht gegeben. Bei der Aktion Mensch wird die Kategorie folgendermaßen interpretiert:
Das dürfte die meisten Webseiten größerer Unternehmen umfassen.
Welche Angebote sind vom Gesetz ausgenommen?
Das BFSG reguliert nur Angebote, die sich an Verbraucher im Sinne von Privatpersonen richten, demzufolge fallen also B2B-Angebote nicht unter das Gesetz. Auf private Angebote ohne kommerziellen Hintergrund trifft das Gesetz ebenfalls nicht zu.
Zudem sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und maximal zwei Millionen Euro Jahresumsatz teilweise ausgenommen.
Firmen, für die beides nicht zutrifft, können sich auf folgende Gründe berufen, um Ausnahmen zu erwirken:
- wenn nötige Änderungen an Produkten oder Dienstleistungen deren Wesen grundlegend verändern würden
- wenn die Änderungen unverhältnismäßige (finanzielle) Belastungen nach sich ziehen würden
Beides muss aber im Einzelfall geprüft und nachgewiesen werden.
Nach diesen Regelungen fällt also z.B. meine eigene Webseite nicht unter das BFSG, da ich keine kommerziellen Dienstleistungen für Verbraucher anbiete. Natürlich bin ich trotzdem bestrebt, meine Webseite barrierefrei zu gestalten, allein schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit.
Welche Inhalte sind ausgenommen?
Sollte ein Unternehmen nun vom BFSG betroffen sein, müssen unter Umständen nicht alle Inhalte barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.
Ausnahmen gelten z.B. für:
- Audio- und Video-Inhalte, die vor dem 28. Juni 2025 erstellt wurden
- „Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden“
- „Inhalte von Webseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, da ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden“
- Inhalte von Dritten, über die der Betreiber keine Kontrolle hat
Gerade der letzte Punkt dürfte aber nicht für Libraries von Drittanbietern in Webseiten und Apps gelten, wie Consent Layer („Cookie-Banner“), Bildergalerien und ähnliches, da man hier ja in der Regel aus mehreren Alternativen wählen oder die Funktion selbst implementieren kann.
Wann gilt ein digitales Angebot als barrierefrei?
Das BFSG liefert die folgende Definition von Barrierefreiheit:
„Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“
In der Verordnung zum BFSG wird dies etwas genauer beschrieben:
- Informationen müssen über mehr als einen Wahrnehmungssinn zugänglich sein. Nutzer:innen, die nicht oder nur eingeschränkt sehen oder hören können, müssen eine andere Möglichkeit haben, auf Informationen aus Bildern, Audio- und Video-Inhalten zuzugreifen.
- Texte müssen in angemessener Größe mit ausreichendem Kontrast und Zeilenabstand dargestellt werden
- Angebote müssen interoperabel mit assistiven Technologien sein (also z.B. Screen Reader-Software, Braille-Zeilen etc.)
- Webseiten und Apps müssen „auf konsistente und angemessene Weise wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden“
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass dies alles ziemlich allgemein gehaltene und unterschiedlich interpretierbare Eigenschaften sind. Bei der Frage, was eine „angemessene“ Textgröße ist, werden drei zufällig ausgewählte Personen wohl drei verschiedene Antworten geben. Ob eine Webseite angemessen bedienbar und verständlich ist, ist ebenfalls subjektiv.
Es stellt sich also die Frage, ob es hart überprüfbare Kriterien gibt, anhand derer ein Anbieter die Barrierefreiheit seines Angebots selbst überprüfen kann. Im BFSG und der Verordnung zum BFSG sind derartige Kriterien nicht spezifiziert. Allerdings enthält das BFSG eine „Konformitätsvermutung“ auf der Grundlage harmonisierter Normen oder technischer Spezifikationen, die besagt, dass man bei Produkten und Dienstleistungen, die entsprechenden Normen oder Spezifikationen gerecht werden, davon ausgehen kann, dass diese auch die Anforderungen der Verordnung erfüllen.
Eine derartige Norm ist die Europäische Norm für Digitale Barrierefreiheit (EN) 301 549, und diese verweist für Webangebote auf die Kriterien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) in der Version 2.1 auf Stufe AA.
Wenn das eigene Webangebot also WCAG 2.1 Level AA-konform ist, braucht man sich um das BFSG sehr wahrscheinlich keine Sorgen zu machen.
Wer überwacht die Einhaltung des Gesetzes?
Dafür werden in Deutschland Marktüberwachungsbehörden der (Bundes-)Länder zuständig sein. Hier gibt es eine Liste der Überwachungsstellen der Länder.
Die Marktüberwachungsbehörden können Angebote stichprobenartig ohne konkreten Anlass überprüfen. Zudem können betroffene Verbraucher Angebote bei den Marktüberwachungsbehörden melden.
Was genau wird geprüft?
Die Anlage 1 zum BFSG „Überwachung von Dienstleistungen“ beschreibt, was bei der Prüfung einer Dienstleistung passiert:
a) Es werden in der Stichprobe alle Verfahrensschritte mindestens in der Standardreihenfolge eines üblichen Nutzers für die Erbringung der Dienstleistung überprüft. Medienbrüche durch nicht digitale Schritte sind zu vermeiden.
b) Es werden mindestens die Interaktion mit Formularen sowie Steuerelementen und Dialogfeldern der Benutzeroberfläche, die Bestätigungen für die Dateneingabe, die Fehlermeldungen und sonstigen Rückmeldungen, die sich aus der Interaktion mit dem Nutzer ergeben, sowie das Verhalten der Webseite oder mobilen Anwendung beim Einsatz unterschiedlicher Software oder Hilfstechnologien bei unterschiedlichen Einstellungen oder Voreinstellungen bewertet. Gleichfalls werden Elemente wie Dokumente oder notwendige externe Interaktionsschritte, die sich auf Objekte außerhalb der Benutzeroberfläche beziehen überprüft, wenn diese für einen erfolgreichen Abschluss der Interaktion notwendig sind.
c) Es können gegebenenfalls Prüfungen der Benutzerfreundlichkeit umfasst sein, zum Beispiel die Beobachtung und Analyse, wie Nutzer mit Behinderungen oder mit funktionellen Einschränkungen die Inhalte der Webseite oder mobilen Anwendung beim Einsatz unterschiedlicher Software oder Hilfstechnologien wahrnehmen, verstehen und wie schwierig die Bedienung bestimmter Elemente der Benutzeroberfläche wie Navigationsmenüs oder Formulare für sie ist.
Es werden also bei der Prüfung konkrete User Flows abgetestet, was bedeutet, dass Anbieter dies ebenfalls regelmäßig tun müssen, um dort vorher Barrieren zu finden und zu beseitigen.
Die bloße Herstellung einer „technischen Barrierefreiheit“ allein mit automatisierten Tools wie Lighthouse oder Axe, ohne Tests mit Nutzer:innen vorzunehmen, reicht demnach nicht aus!
Ebenfalls reicht es nicht, Barrieren nur auf einzelnen Seiten wie der Startseite zu beseitigen, denn es können Login-Funktion, Suche, Produktseiten, Formulare, Bestell- und Bezahlvorgänge, PDF-Dokumente und vieles mehr geprüft werden.
Was passiert bei Verstößen?
Stellt die Marktüberwachungsbehörde Verstöße fest, wird sie den Betreiber eine Aufforderung mit einer Frist zur Behebung der Verstöße zukommen lassen.
Bei fortgesetzten Verstößen kann die Behörde sogar erwirken, dass das Angebot gänzlich eingestellt wird. Zudem kann eine Geldbuße bis zu 100.000 Euro verhängt werden.
Was muss ich als Anbieter tun?
Neben der Herstellung der Barrierefreiheit der Dienstleistung bestehen auch Informationspflichten des Anbieters über die Barrierefreiheit des Angebots.
So müssen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf einer gesonderten Seite folgende Informationen bereitgestellt werden:
- ein Beschreibung der Dienstleistung in einem barrierefreien Format
- eine Erklärung, wie einzelne Barrierefreiheitsanforderungen seitens des Angebots erfüllt werden. Hierbei kann man z.B. auf die Norm (EN) 301 549, die BITV 2.0 oder die WCAG verweisen.
- die zuständige Marktüberwachungsbehörde
Beispiele für eine Erklärung zur Barrierefreiheit finden sich bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit und auf berlin.de.
Fazit
Wir haben unter anderem gelernt, wen das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betrifft und welche Ausnahmen es gibt, wann ein Angebot als barrierefrei gilt und wie die Konformität mit dem Gesetz geprüft wird.
Manche Details wird uns erst die Zukunft zeigen, etwa welche Angebote wirklich als „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ gewertet werden, wie oft und streng kontrolliert wird, wie oft Geldbußen verhängt werden und wie hoch diese ausfallen.
In einem zukünftigen Artikel werden wir uns die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) genauer ansehen, mit denen wir die Barrierefreiheit von Webseiten formal prüfen können.